Erfahren Sie aus erster Hand alles Wesentliche über den gesetzlichen Pflichtteil: Wie Sie zu Ihrem Pflichtteil kommen, welche rechtlichen Möglichkeiten Sie haben oder wie Sie als Erbe unberechtigte Pflichtteilsforderungen abwehren. Der erfahrene Erbrechtsanwalt Mag. Patrick Maydell, LL.M. gibt Ihnen diese konkreten Tipps und Informationen.
1. Was versteht man unter Pflichtteil?
Grundsätzlich kann der Verstorbene frei entscheiden, wem er etwas hinterlässt. Das Pflichtteilsrecht begrenzt jedoch diese Freiheit des Verstorbenen. Bestimmten Personen muss der Verstorbene einen bestimmten Teil seines Vermögens durch letztwillige Verfügung (z.B. Testament) hinterlassen. Tut er das nicht, haben diese Personen („Pflichtteilsberechtigte“ genannt) einen Anspruch auf Zahlung des Pflichtteils gegen die Verlassenschaft bzw. gegen die Erben, somit Anspruch auf einen Pflichtteil in Geld.
Der
Pflichtteil darf nicht durch Bedingungen, Belastungen, Befristungen,
Auflagen beschränkt sein, sondern muss dem Pflichtteilsberechtigten
zur freien Verfügung stehen.
2. Wer hat Anspruch auf den Pflichtteil?
Pflichtteilsberechtigt sind die Nachkommen (d.h. Kinder) sowie der Ehegatte oder eingetragene Partner des Verstorbenen. Geschwister und Eltern des Verstorbenen haben keinen Anspruch auf den Pflichtteil.
3. Wie hoch ist der Pflichtteil und wie wird er berechnet?
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Nach dem gesetzlichen Erbrecht steht dem Ehegatten neben den Kindern 1/3 zu, den Kindern also gesamt 2/3. Der Pflichtteilsanspruch des Ehegatten beträgt daher 1/6, der der Kinder 1/3. Wenn es keinen Ehegatten gibt, dann steht den Kindern der Pflichtteil zu gleichen Teilen zu, z.B. bei 3 Kindern beträgt der gesetzliche Erbteil 1/3 pro Kind, somit beträgt der Pflichtteilsanspruch 1/6 pro Kind.
Der
Pflichtteil wird vom reinen Nachlass berechnet. Darunter versteht man
den Überschuss der Aktiven über die Passiven (d.h. Vermögen
abzüglich Schulden). Unter die Passiva fallen die Schulden des
Verstorbenen und alle durch den Todesfall, das Begräbnis und die
durch das Verlassenschaftsverfahren entstandenen Kosten.
Vermächtnisse (das sind letztwillige Zuwendungen) mindern jedoch
nicht den reinen Nachlass.
4. Bis wann müssen Sie den Pflichtteil fordern?
Der Pflichtteilsanspruch entsteht zwar zum Todeszeitpunkt, er kann aber erst ein Jahr nach dem Tod des Verstorbenen geltend gemacht werden. Der Anspruch verjährt nach drei Jahren ab Kenntnis der für das Bestehen des Anspruchs maßgebenden Tatsachen (d.h. 3 Jahre nachdem Sie vom Tod des Verstorbenen erfahren haben).
5. Wer schuldet den Pflichtteil?
Den Pflichtteil schuldet bis zur Einantwortung die Verlassenschaft, nach Einantwortung schulden ihn die Erben. Wenn der Pflichtteil den Berechtigten nicht oder nicht ausreichend vom Verstorbenen zugewendet wurde (z.B. in Form von Schenkungen zu Lebzeiten des Verstorbenen), entsteht der Pflichtteilsanspruch in Geld. In diesem Fall müssen neben den Erben auch die Vermächtnisnehmer (Legatare) höchstens bis zum Wert der Verlassenschaft verhältnismäßig zur Bezahlung des Pflichtteilsanspruchs beitragen.
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6. Was versteht man unter Schenkungspflichtteil und Hinzu- und Anrechnung auf den Pflichtteil?
6 a. Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte
Hat
der Verstorbene sein Vermögen zu Lebzeiten durch Schenkungen an
Pflichtteilsberechtigte (z.B. Kinder) geschmälert, können die
jeweils anderen Pflichtteilsberechtigten sowie
die
Erben
die Hinzu- und Anrechnung dieser Schenkungen verlangen. Der
Wert der Schenkungen wird zuerst der Verlassenschaft hinzugerechnet
und von diesem erhöhten Wert wird der Pflichtteil berechnet. Der
beschenkte Pflichtteilsberechtigte muss sich dann den Wert der
Schenkung auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen und erhält
entsprechend weniger. Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte sind
unbefristet hinzu- und anzurechnen.
Dazu
ein Beispiel:
Der
Verstorbene hinterlässt ein Vermögen von € 110.000, abzüglich
Schulden in Höhe von € 30.000 ergibt sich ein Reinnachlass von €
80.000. Er hat zwei Kinder, nach der gesetzlichen Erbfolge hätten
die Kinder jeweils Anspruch auf die Hälfte des Vermögens. Ihr
Pflichtteil beträgt die Hälfte davon, also jeweils ein Viertel.
Seinem ersten Kind hat der Verstorbene zu Lebzeiten ein Auto im Wert
von € 20.000 geschenkt. Das zweite Kind des Verstorbenen kann die
Hinzu- und Anrechnung dieser Schenkung verlangen. Dazu werden die €
20.000 dem reinen Nachlass hinzugerechnet, von der neuen
Bemessungsgrundlage in Höhe von € 100.000 (€ 80.000 Reinnachlass
plus anzurechnende Schenkung € 20.000) sind nun ziffernmäßig die
beiden Pflichtteile zu ermitteln. Diese betragen € 25.000 (€
100.000 geteilt durch 4). Davon muss sich das erste Kind die
Schenkung des Autos von € 20.000 abziehen lassen, dies ergibt für
das erste Kind einen Pflichtteil in Höhe von € 5.000 (€ 25.000
minus € 20.000).
6 b. Schenkungen an Nicht-Pflichtteilsberechtigte
Auch
Schenkungen, die der Verstorbene vor seinem Tod an Personen, die
nicht dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten (fremde Personen, keine
Kinder und Ehegatte) angehören, gemacht hat, sind auf Verlangen
eines Pflichtteilsberechtigten bei der Berechnung der Pflichtteile
der Verlassenschaft hinzuzurechnen. Allerdings betrifft dies nur
Schenkungen, die innerhalb von zwei Jahren vor dem Tod des
Verstorbenen erfolgt sind.
Beispiel:
Der
reine Nachlass beträgt € 80.000. Der Verstorbene hat ein Jahr vor
seinem Tod einem Freund € 10.000 geschenkt. Die
Pflichtteilsberechtigten (zwei Kinder, kein Ehegatte vorhanden)
können die Hinzurechnung dieser € 10.000 verlangen. Damit ergibt
sich eine neue Bemessungsgrundlage für die Pflichtteile, nämlich €
90.000 (€ 80.000 plus € 10.000). Beide Kinder erhalten je ein
Viertel also jeweils € 22.500 (€ 90.000 geteilt durch 4).
6 c. Ausnahmen
Von
der Pflicht zur Schenkungsanrechnung sind aber folgende Schenkungen
ausgenommen, d.h. für sie muss kein Schenkungspflichtteil bezahlt
werden:
–
Schenkungen aus sittlicher Pflicht (z.B. Ring an Ehefrau zur
silbernen Hochzeit)
–
Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken (z.B. Zuwendung an
Kindergarten)
–
Schenkungen, die das Stammvermögen des Geschenkgebers nicht
geschmälert haben (die
also aus
den
laufenden Einkünften
und den Ersparnissen des davor liegenden Jahres
getätigt wurden).
7. Wie können Sie den Pflichtteil fordern?
Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie zu wenig Pflichtteil erhalten haben, können Sie mit der Pflichtteilsergänzungsklage den fehlenden Geldbetrag von den Erben bzw. der Verlassenschaft gerichtlich einfordern. In der Praxis empfehle ich Ihnen, dass der Pflichtteil in einem ersten Schritt richtig berechnet wird und dann schriftlich mit Anspruchsschreiben von den Erben bzw. der Verlassenschaft gefordert wird. Sollte in weiterer Folge mit den Beteiligten keine außergerichtliche Einigung erzielt werden können, muss der Pflichtteil bei Gericht eingeklagt werden.
8. Kann der Pflichtteil entzogen werden?
Der Verstorbene kann nur dann den Pflichttteil entziehen (Enterbung), wenn der Pflichtteilsberechtigte einen Enterbungsgrund gesetzt hat. Ein solcher ist gegeben, wenn der Pflichteilsberechtigte
–
gegen den Verstorbenen oder gegen nahe Angehörige (Ehegatte,
Geschwister des Verstorbenen etc.) eine gerichtlich strafbare
Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und
mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (z.B. schwere
Körperverletzung, schwerer Betrug);
–
absichtlich die Verwirklichung des wahren letzten Willens des
Verstorbenen vereitelt oder zu vereiteln versucht hat (z.B. Fälschung
des Testaments),
–
dem Verstorbenen in verwerflicher Weise schweres seelisches Leid
zugefügt hat,
–
sonst seine familienrechtlichen Pflichten gegenüber dem Verstorbenen
gröblich vernachlässigt hat, oder
– er
wegen einer mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung zu einer
lebenslangen oder 20-jährigen
Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Der
Verstorbene muss die Enterbung ausdrücklich oder stillschweigend
durch Übergehung des Pflichtteilsberechtigten in der letztwilligen
Verfügung angeordnet haben.
9. Kann der Pflichtteil auf die Hälfte gemindert werden?
Eine Minderung des Pflichtteils auf die Hälfte ist möglich, wenn zwischen dem Verstorbenen und dem Pflichtteilsberechtigten kein familiäres Naheverhältnis über einen Zeitraum von zumindest 20 Jahren bestand. Hier kommt es auf die Umstände im Einzelfall an, bspw. besteht kein Naheverhältnis, wenn der Verstorbene den Pflichtteilsberechtigten nur drei Mal im Leben gesehen hat. Der Verstorbene muss die Minderung explizit letztwillig anordnen, die Minderung kann jedoch auch durch stillschweigende Übergehung des Pflichtteilsberechtigten in der letztwilligen Verfügung angeordnet worden sein.
Eine
Minderung ist aber ausgeschlossen, wenn der Verstorbene den Kontakt
grundlos gemieden oder berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt
gegeben hat (z.B. der verstorbene Vater wollte keinen Kontakt zu
seiner Tochter, ohne dass die Tochter dafür einen Anlass gegeben
hat). Auch hier kommt es aber auf die persönlichen Umstände an.
10. Pflichtteilsverzicht und Erbverzicht
Mit einem Pflichtteilsverzicht kann ein Pflichtteilsberechtigter (z.B. ein Kind) zu Lebzeiten des Verstorbenen oder während des Verlassenschaftsverfahrens auf den Pflichtteil verzichten. Das kommt in der Praxis häufig dann vor, wenn das Erbe schon zu Lebzeiten des Verstorbenen aufgeteilt werden soll und ein Kind im Gegenzug für die Übergabe einer Liegenschaft/Wohnung auf seinen Pflichtteil verzichtet.
Der
Verstorbene kann somit frei über sein Vermögen testieren und ist
nicht durch den Pflichtteilsanspruch beschränkt. Der
Pflichtteilsverzicht gilt auch für die Nachkommen des Verzichtenden,
außer es wird gegenteiliges vereinbart. Der Sinn eines
Pflichtteilsverzichts kann bspw. darin liegen, Streitereien zu
vermeiden. Ebenfalls sinnvoll ist die Abgabe eines
Pflichtteilsverzichts zum Erhalt eines Unternehmens, z.B. wenn ein
Kind das Unternehmen erhalten soll. Hier können ansonsten die
Ansprüche von anderen Pflichtteilsberechtigten das Fortbestehen des
Unternehmens gefährden.
Bei
der Abgabe eines Pflichtteilsverzichts verliert der Verzichtende
jedoch nicht sein gesetzliches Erbrecht. Sofern der Verstorbene keine
letztwillige Verfügung verfasst hat und das gesetzliche Erbrecht zur
Anwendung kommt, hat der Verzichtende Anspruch darauf, einen Anteil
aus der Verlassenschaft zu erhalten.
Im
Unterschied zum Pflichtteilsverzicht umfasst der Erbverzicht nicht
nur den Verzicht auf den Pflichtteil, sondern auch den Verzicht auf
das gesetzliche Erbrecht. Es ist auch beim Erbverzicht trotzdem
möglich, dass der Verstorbene den Verzichtenden in einer
letztwilligen Verfügung bedenkt, d.h. der Verstorbene kann z.B.
seinem Kind, das auf sein Erbrecht verzichtet hat trotzdem per
Testament etwas zukommen
lassen.
11. Stundung und Ratenzahlung des Pflichtteils
Der Verstorbene kann in seiner letztwilligen Verfügung (z.B. im Testament) eine Ratenzahlung oder Stundung des Pflichtteils auf maximal fünf Jahre anordnen. Ebenso kann der Erbe als Pflichtteilsschuldner die Stundung bzw. Ratenzahlung über einen Zeitraum von maximal fünf Jahren verlangen, wenn ihn die Zahlung des Pflichtteils übermäßig hart treffen würde. Das ist bspw. dann der Fall, wenn er mangels ausreichenden anderen Vermögens die Wohnung, die ihm zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient, verkaufen müsste. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann die Stundung auf höchstens zehn Jahre verlängert werden.
12. Was kostet eine Klage bzw. übernimmt das meine Rechtsschutzversicherung?
Wie viel eine Klage und das Gerichtsverfahren kostet, hängt vom Streitwert ab. Der Streitwert ist der Geldbetrag, den Sie als Pflichtteil fordern. Je höher der Streitwert ist, desto höher sind die Kosten eines Gerichtsverfahrens. Die Kosten des Gerichtsverfahrens unterteilen sich in Anwaltskosten und Gerichtsgebühren. Bei einem Streitwert von z.B. EUR 17.000,– betragen die Kosten für die Klage EUR 1.048,44 plus Gerichtsgebühren von EUR 743,–. Bei einem Streitwert von z.B. EUR 50.000,– betragen die Kosten für die Klage EUR 1.992,36 plus Gerichtsgebühren von EUR 1.459,–. Wichtig zu wissen ist, dass die Gerichtsgebühren nur einmal anfallen, unabhängig wie lange das Gerichtsverfahren dauert.
Sollten
Sie das Gerichtsverfahren gewinnen, dann haben Sie Anspruch auf
Ersatz der Prozesskosten. In diesem Fall muss Ihnen der Gegner daher
alle Kosten bezahlen, die Sie vorgestreckt haben.
Wenn
Sie eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben, sollten Sie
prüfen, ob der Baustein Erbrecht darin enthalten ist. Denn dann
übernimmt Ihre Rechtsschutzversicherung die Kosten eines
Gerichtsverfahrens. Gerne kann ich eine kostenlose Deckungsanfrage
für Sie machen, d.h. ich frage schriftlich an, ob Ihre
Rechtsschutzversicherung für Ihren konkreten Fall auch die Kosten
übernimmt.
Sollten
Sie noch keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben ist zu
beachten, dass Versicherungen in ihren Bedingungen häufig
Wartefristen vorsehen. Z.B. kann die Versicherung je nach ihren
Bedingungen die Deckung ablehnen, wenn der Erbfall (Tod des
Verstorbenen) ein Jahr nach Abschluss der Versicherung eingetreten
ist. Hier heißt es also rechtzeitig eine Rechtsschutzversicherung
abzuschließen.
Was ich für Sie tun kann
Als spezialisierter Rechtsanwalt für Erbrecht kann ich Sie in sämtlichen Fragen rund um Erbrecht und Pflichtteil beraten und vertreten. Dazu gehören:
- Durchsetzung Ihrer erbrechtlichen Ansprüche oder Abwehr von ungerechtfertigten Ansprüchen in strittigen Erbfällen vor Gericht und außergerichtlich
- Beratung bei allen Fragen zur Nachlassplanung (z.B. Errichtung von Kauf- und Schenkungsverträgen, Schenkungen auf den Todesfall, Errichtung von Erb- und Pflichtteilsverzichten etc.)
- Entwurf, Registrierung und Verwahrung Ihres Testaments
- Beratung und Vertretung bei Erbteilungsklagen (siehe dazu auch meinen Artikel über Teilungsklagen)
- Ich berechne für Sie Ihren Pflichtteil oder helfe Ihnen, Streitigkeiten über die Erbschaft vorab zu vermeiden
- Weiters berate ich Sie über die Erbfolge, die Wirkung einer Erbantrittserklärung und vertrete Sie im Verlassenschaftsverfahren
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